Mikrochirurgie des Genoms
Bei der klassischen Gentherapie wird versucht, die Funktion eines defekten Gens zu ersetzen, indem zum Beispiel eine korrekte Version des Gens zusätzlich in die Zelle eingebracht wird. „Beim Genome-Editing hingegen können wir mit einer Art Skalpell direkt einzelne defekte Sequenzen aufspüren, herausschneiden und durch intakte ersetzen“, betont Professorin Büning. „Das kommt einer Mikrochirurgie des Genoms gleich und ermöglicht sprichwörtlich eine Genreparatur“, ergänzt Professor Schambach. „Dieselbe Technik kann auch verwendet werden, um Zelltherapeutika wie sie etwa im Bereich der Onkologie verwendet werden, in ihrer Aktivität zu verbessern, oder gezielt Gene auszuschalten, um uns vor dem Angriff bestimmter Viren zu schützen oder Transplantate für das Immunsystem des Empfängers unsichtbar zu machen“, sagt Professorin Büning. „Wir stehen tatsächlich an der Schwelle eines neuen Zeitalters: Dank der nun möglichen zielgerichteten Korrektur innerhalb des Genoms wird uns ein erweitertes Arsenal von Therapeutika zur Verfügung stehen.“
Erste Gentherapie auf Basis von CRISPR-Methode zugelassen
Ein Werkzeug, das den Fortschritt drastisch beschleunigt hat, ist die Genschere CRISPR, für die die frühere MHH-Professorin Emmanuelle Charpentier 2020 mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt worden war. „Am 16. November, also vor nicht einmal zwei Wochen, ist in Großbritannien weltweit die erste Gentherapie zugelassen worden, die auf dieser Gentechnik beruht“, berichtet Professorin Büning. Menschen, die an den Bluterkrankungen Sichelzellenanämie und Beta-Thalassämie leiden, können damit therapiert werden. Diesen Meilenstein konnten die Autoren in allerletzter Minute noch in ihrem Übersichtartikel aufnehmen.
Für die beiden MHH-Professoren zeigt dieses Beispiel, wozu das „Feintuning in den Genen“ schon heute taugt. „Und es wird noch mehr können: Eine Idee ist, auch bei Volkskrankheiten wie etwa einem zu hohen Cholesterinspiegel mit Hilfe von genetischen Scheren oder Radiergummis‘ im Genom mögliche Fehlfunktionen aufzudecken und zu korrigieren“, meint Professor Schambach.
Zahl neuzugelassener Gentherapien wird drastisch steigen
Die Autoren haben für ihren Artikel 225 wissenschaftliche Publikationen ausgewertet. „Die Gentherapeutika erreichen zunehmend die Patientinnen und Patienten, wie die vielen klinischen Studien, die wir ausgewertet haben, zeigen“, erläutert Professorin Büning. Das sei aber erst der Anfang: Ab dem Jahr 2025 rechnet man in den USA mit 15 bis 20 neuzugelassenen Gentherapien – pro Jahr. Den Autoren ist ganz besonders wichtig, dass die zugelassenen Gentherapien dann auch für die Patientinnen und Patienten zugänglich sind. „Das ist leider bisher nicht sichergestellt“, betont Professor Schambach.
Erfolge beruhen auf interdisziplinären Teams
In ihrem Artikel betonen die Forschenden, dass eine Gentherapie ein extrem komplexes Arzneimittel ist. „Der Erfolg von Gentherapien beruht auf interdisziplinärer Zusammenarbeit von Ärztinnen, Ärzten, Forschenden, Ethikerinnen, Ethikern, regulatorischen Behörden und Patientenorganisationen“, ist sich Professor Schambach sicher. Dabei sei es auch immer wieder notwendig, eine kritische Bewertung des Benefits und Risikos für die Betroffenen durchzuführen und auch an Monitoring-Strategien zu arbeiten, um zu besseren Vorhersagen bzgl. möglicher Nebenwirkungen zu kommen.
Mit einem Ausblick beschließen die MHH-Autoren ihren Artikel. „Die in der Gentherapie angewendeten Methoden haben enorme Einflüsse auf die Medizin von morgen“, sind sich die beiden sicher, „denn mit derselben Strategie, wie wir Gendefekte suchen, können wir auch neue Diagnostika entwickeln.“
Die Originalarbeit finden Sie hier.
Weitere Informationen erhalten Sie von Professorin Dr. Hildegard Büning, buening.hildegard@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-5106, sowie von Professor Dr. Axel Schambach, schambach.axel@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-6067.