In der Rückschau kritisiert Tretter: "Die Corona-Krise brachte die methodisch bedingten inneren Bruchstellen der Medizin als Bio-, Psycho- und Sozialwissenschaft zutage, insofern das biomedizinische Modell, vertreten durch die Virologie, die Wahrnehmung der Corona-Krise dominierte. Nur gelegentlich schien die sozialwissenschaftliche Perspektive durch: aber die geisteswissenschaftliche Perspektive, die den Menschen als leidendes Subjekt auffasst, war nahezu überhaupt nicht präsent.
Vor allem das bio-psycho-soziale Modell bietet einen heuristischen Rahmen für eine Wisssensintegration," da es die Wechselwirkungen zwischen biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren in unterschiedlicher Zusammensetzung betrachtet. "Dieser weite konzeptuelle Rahmen hat den Vorteil, von vorne herein und allgemein die Hauptdimensionen von Krankheiten mit ihren Einzelfaktoren in den Blick zu nehmen ..."
Ähnlich einäugig ist die Forschung zur Klima-Krise auf Naturwissenschaften fokussiert: "Für die Untersuchung der sozialen Konsequenzen des Klimawandels und die Bedingungen der Eindämmung der Klimafolgen mangelt es grundlegend an sozialwissenschaftlicher Expertise. Die Behauptung ´Wir wissen schon genug, wir müssen handeln´ übersieht mit dem fokalen Blick auf naturwissenschaftliche Probleme allzu leicht die Schwierigkeiten, eine Transformation in eine nachhaltige Gesellschaft für ein gutes Leben für Alle zu realisieren. So ist eine ´Ökologisierung´ vieler Lebensbereiche wie Energie, Wohnen, Ernährung, Verkehr, Arbeit usw. nur mit vielen Kollusionen möglich ..."
Felix Tretter: Wissensgesellschaft im Krisenstress: Corona & Co.
Pabst, 308 Seiten. Paperback